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Berufsbildung in Zeiten des Mangels

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9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2012

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Forum 1.3

Status Migrationshintergrund im Kontext Bildungsaspiration. Zwischen strukturierenden Dispositionen und rationalen Entscheidungen

Von:
Lentner, Marlene; Institut für Berufs- und Erwachsenenbildungsforschung an der Johannes Kepler Universität Linz (IBE), Österreich
Stadlmayr, Martina; Institut für Berufs- und Erwachsenenbildungsforschung an der Johannes Kepler Universität Linz (IBE)
Niederberger, Karl; Institut für Berufs- und Erwachsenenbildungsforschung an der Johannes Kepler Universität Linz (IBE)

Session: 1
Zeit: Donnerstag, 05.07.2012, 14:00 - 16:00
Ort: MAW - Seminarraum
Typ: Forum
Downloads: Präsentation als PDF



Ziel dieses thematischen Forums ist es, Bildungsaspirationen der heterogenen Gruppe der Personen mit Migrationshintergrund im Kontext struktureller Optionen und Chancen zu beleuchten und zu diskutieren.

In einer individualisierten Welt, in der „jeder und jede seines/ ihres Glückes Schmid“ ist, also für „Erfolg“ und „Scheitern“ vordergründig individuelles Handeln und individuelle Dispositionen als ursächlich interpretiert werden, erscheint es aus gesellschaftstheoretischer und –politischer Sicht überaus notwendig, kritisch zu reflektieren, ob sich die ökonomische und soziale Welt wirklich als ein Universum der Möglichkeiten darstellt. Der Konferenzrahmen soll dabei die Möglichkeit geben einen speziellen Fokus auf die Aspekte Bildungsaspiration und Bildungswahlentscheidungen zu legen. Insofern ist eine Reflexion des Spannungsbogens „Bildungsaspiration – Aufstiegsorientierung – Risiko von Frustration/ Demotivation“ am Beispiel der Zielgruppe Personen mit Migrationshintergrund eingebettet in den modernen gesellschaftlichen Makrokontext geplant. In Bezug auf den Makrokontext erscheint es vor allem interessant den politisch-normativen Diskurs bzw. das normative Versprechen, dass Bildung der Schlüssel zum Erfolg, zum sozialen Aufstieg zur Erhöhung der Chancengleichheit ist, kritisch mitzudenken, genauso wie die Frage, ob nicht Bildung und Bildungstitel heute mehr denn je zur Legitimation und Reproduktion sozialer Ungleichheitsstrukturen dienen.

Dabei sind für die Gestaltung dieser 1 ½ Stunden drei inhaltliche Blöcke angedacht: Zu Beginn steht eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Bildungsaspiration (Marlene Lentner, IBE), welche die Grundlage für die weitere Auseinandersetzung darstellt. Dies geschieht im Wesentlichen anhand zweier zentraler Konzepte: Bourdieus Habitus-Feld-Konzept und die Wahl des Schicksals1 sowie Boudons Konzept der primären und sekundären Herkunftseffekte2 . Beide Theoretiker gehen in ihren Ausführungen davon aus, dass die jeweilige Bildungsaspiration eines Individuums entscheidenden von der sozialen Herkunft abhängt. Individuen weisen somit Bildungsaspirationen auf, welche ihren objektiven Chancen – strukturiert durch ihre Position im sozialen Raum – entsprechen.

Wesentlicher Unterschiede zwischen den Perspektiven der beiden Theoretiker sind grundlegende Überlegungen zum menschlichen Handeln und Entscheidungsverhalten. Während Boudon ein Modell entwickelt, welches menschliches Handeln auf Überlegungen zu Gewinn, Kosten und Nutzen zurückführt und somit ein weiterentwickeltes Rational-Choice-Modell darstellt, hat sich Bourdieu3 immer dagegen ausgesprochen das Modell rationalen Handelns als anthropologische Beschreibung der Praxis heranzuziehen. Er argumentiert, dass die Aneignung eines rationalen Kalküls stark von den Chancen unter den gegebenen ökonomischen Verhältnissen abhängen und sich unterhalb einer gewissen Schwelle die Dispositionen zum strategischen Handeln nicht ausreichend entwickeln können (zwischen völliger Ohnmacht und hochfliegender Phantasie). Insofern teilt er Lewins4 Aussagen zum „erfolgreichen“ und „erfolglosen“ Mensch: „Ein erfolgreicher Mensch setzt sich normalerweise sein nächstes Ziel etwas, aber nicht zu viel höher, als seine Leistung war. Auf diese Weise erhöht er ständig sein Anspruchsniveau. (..) Der erfolglose Mensch andererseits pflegt eine von zwei Verhaltensweisen zu zeigen: er setzt sein Ziel sehr niedrig an, vielfach unter seiner letzten Leistung (..) oder er setzt sein Ziel über seiner Fähigkeit an."

Im Rahmen dieses ersten Beitrags „Theoretischer Abriss – Phänomen Bildungsaspiration“ wird auch auf den gegenwärtigen Makrokontext und die entsprechende politisch-normativen (Bildungs-) Diskurse eingegangen.

In einem zweiten Schritt werden ausgewählte empirische Erkenntnisse in Bezug auf die Zielgruppe in drei kurzen inhaltlichen Impulsreferaten vorgestellt:

• Impulsreferat 1: Bildungsaspiration im Wandel der Zeit? (Karl Niederberger, IBE):

Auf Basis der Studien „Bildungsferne Jugendliche“ (IBE, 2009), „Jugendliche im öffentlichen Raum“ (IBE, 2010), „Berufskarrieren von OÖ. Jugendlichen“ (IBE, 2011) sowie den Ergebnissen der letzten Pisa-Studien (OEZD, bifie, 2006/2009) wird der Frage nachgegangen, ob der Stellenwert von Bildung bei Jugendlichen – und hier im Speziellen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund – in den letzten Jahren einem Wandel unterliegt. Anhand von sekundärstatistischen Ergebnissen sowie mithilfe empirischer Analysen werden Antworten gesucht.

• Impulsreferat 2: Bildungsaspiration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Kontext Pflichtschule (Marlene Lentner, IBE):

Anschließend an die Ausführungen zu den grundsätzlichen Wandlungsprozessen hinsichtlich Bildungsaspiration im Impulsreferat 1 stellt der Beitrag diesbezügliche zentrale Erkenntnisse in Bezug auf Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund, welche sich am Ende der Pflichtschule befinden, vor. Basis hierfür ist die Studie „Berufsorientierung und Berufsberatung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ (IBE, 2011), in welcher 1.986 SchülerInnen der 4. Klasse Hauptschule und Polytechnischen Schule in Oberösterreich befragt wurden (davon 633 Jugendliche mit Migrationshintergrund). Der zentrale Fokus wird dabei auf die Berufs- und Ausbildungswünsche der Jugendlichen auf der einen Seite und auf die faktischen Chancen (unter anderem auf Basis der Schulnoten) diese realisieren zu können auf der anderen Seite, gelegt werden.

• Impulsreferat 3: Bildungsaspiration von Menschen mit Migrationshintergrund im Kontext der Verwertbarkeit am Arbeitsmarkt (Martina Stadlmayr, IBE):

Der Beitrag umreißt auf Basis von quantitativen - Auswertung einer Fragebogenerhebung (n=5.407) in Form einer vergleichenden Analyse der Gruppen Autochthone (n=4.445) und Menschen mit Migrationshintergrund (n=962), differenziert nach Generationen, Altersgruppe 15 bis 59 Jahre - wie qualitativen Erhebungen - qualitative Interviews (n=27) mit jungen Migrantinnen erster und zweiter Generation im Alter von ca. 20 Jahren - die Ist-Situation von Menschen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt und reflektiert die davon beeinflusste Bildungsaspiration. Wesentliche Unterschiede bzw. andere Realitäten zeigen sich vor allem nach: Migrationshintergrund an sich (auch als möglicher Faktor mit sozialer Schichtzugehörigkeit, jedoch auch darüber hinaus), zwischen den Generationen (1./1,5./2. Generation) und nach Altersstufen (kritischer Bereich für Frustrationserfahrungen: 25 bis 35 Jahre). Der Beitrag führt diese Erkenntnisse auf die Meta-Ebene gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und gipfelt in Thesen für die Diskussion, die nicht am Individuum, sondern an gesellschaftlichen Strukturen ansetzen.

Auf Basis dieser empirischen Erkenntnisse werden in einem weiteren Schritt Hypothesen generiert. Kern des thematischen Forums ist eine moderierte Diskussion dieser Hypothesen. Um den Anspruch einer breiten, aber auch gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung ausreichend Rechnung tragen zu können, sollen die dargelegten wissenschaftlichen Befunde sowohl mit InteressensvertreterInnen, AkteurInnen der Arbeitsmarktpolitik und KennerInnen der Lebenswelten von Menschen mit Migrationshintergrund diskutiert werden. Um das Zustandekommen einer solch vielfältigen DiskutantInnen-Gruppe zu gewährleisten, wird jeweils ein(e) VertreterIn der genannten Gruppen gezielt eingeladen. Angedachte KandidatInnen in diesem Kontext wären:

• Kainz Gudrun (AK OÖ; Abt. Bildung) (bereits fixiert)

• Rene Sturm (AMS; Abt. Arbeitsmarktforschung und Berufsinformation)

• Mümatz Karakurt (Geschäftsführung Migrare- Zentrum für MigrantInnen OÖ)

Die Moderation der Diskussion übernimmt die Koordinatorin des thematischen Forums. Vom zeitlichen Ablauf ist geplant, dass die inhaltlichen Inputs maximal 45 Minuten der Zeit beanspruchen und die restlichen 45 Minuten der Diskussion zur Verfügung stehen.

1) Bourdieu, Pierre (2001): Wie die Kultur zum Bauern kommt, Hamburg: VSV Verlag.

2) Boudon, Raymond (1974): Education, Opportunity, and Social Inequality, New York: Wiley.

3) Bourdieu, Pierre (1981): Klassenschicksal, individuelles Handeln und das Gesetz der Wahrscheinlichkeit, IN: Bourdieu, Pierre/ Boltanski, Luc/ Saint Martin, Monique/ Maldidier, Pascal (Hg): Titel und Stelle. Über die Reproduktion sozialer Macht, Frankfurt/Main: Europäische Verlagsanstalt, S.169-226.

4) 1953, 166 zit. n. Bourdieu 2001, 35

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