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Berufsbildung in Zeiten des Mangels

Handlungserfordernisse
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9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2014

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Paper

Bildung und Kompetenz – Zur Kritik pädagogischer Praktiken durch Foucaults Machtanalytik

Von:
Herrmann, Katharina; TU Darmstadt, Deutschland
Klingovsky, Dr. Ulla; Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
Pawlewicz, Susanne; TU Darmstadt, Deutschland

Paper Session: 2
Zeit: Donnerstag, 03.07.2014, 17:15 - 19:15
Ort: FH Seminarraum Promotech
Typ: Paper
Downloads:Präsentation als PDF



Der geplante Beitrag soll Elemente und Versprechen der „Neuen Lernkultur“ in den Blick nehmen und deren machttheoretische Implikationen untersuchen. Dabei geht es nicht nur um eine Dekonstruktion der pädagogischen Professionalität in der Erwachsenen- und Weiterbildung, sondern auch um die Bedingungen und Möglichkeiten einer Kritik, welche die Widersprüche innerhalb von Bildungsprozessen bewusst machen und vorhandene Differenzen offen halten möchte.

Innerhalb der „Neuen Lernkultur“ soll die Fremdsteuerung, die Lehr-Lern-Prozessen bisher immanent ist, in eine Selbststeuerung umgewandelt und damit ein unabhängiger und machtfreier Raum für die Selbstwerdung und persönliche Fortentwicklung geschaffen werden. Anhand von messbaren Kompetenzen kann das rationale, reflexive und eigenverantwortliche Subjekt sein Lernportfolio perfektionieren. Die immer umfassender werdende Quantifizierung und Standardisierung ermöglicht und verlangt einen permanenten Vergleich von Können und Wissen, wo vorher komplexe und schwer fassbare Bildungsprozesse und Lernerfahrungen standen. Zudem fordert sie zur Hierarchisierung der eigenen Lernpraktiken innerhalb der kompetenzorientierten Lernkultur auf.

Das Versprechen von der Befreiung aus heteronomen Abhängigkeitsverhältnissen „durch Rückgriff auf eine vordiskursive Autonomie“ (Klingovsky 2013, S. 4) blendet jedoch völlig den dialektischen Charakter von Lern- und Bildungsprozessen aus. Sie ermächtigen zwar stets zur Reflexion und Kritik der eigenen Verstrickung in gegebene Machtverhältnisse, bleiben jedoch zugleich an diese gebunden, die sie dadurch reproduzieren. Mit Hilfe von Michel Foucaults Machtanalytik lassen sich die vermeintlich autonomen Lehr-Lern-Arrangements in der Erwachsenenbildung als subtile Regierungstechnologien entlarven, welche über die radikale Subjektorientierung ein neues Totalisierungsregime einführen. Machtverhältnisse werden also nicht beseitigt, sondern lediglich transformiert. Über die Offenlegung immanenter Widersprüche kann in einem ersten Schritt die Dekonstruktion einer pädagogischen Professionalität gelingen, die auf scheinbar machtfreie Lehr-Lern-Konstellationen zurückgreift und über Kompetenzorientierung eine individualisierte Normalitätsordnung etabliert. In einem zweiten Schritt können jene Praktiken der Differenzierung in den Blick genommen werden, die jedem Lernprozess per se inne wohnen. Erst durch die Einsicht in die Unmöglichkeit von kohärenten Lern- und Bildungsprozessen, deren Ziel es ist, mit sich selbst identisch zu werden, lässt sich das professionelle erwachsenenpädagogische Handeln neu problematisieren. Im Fokus befinden sich hierbei nicht die harmonische Verbindung von Selbst- und Weltverhältnissen, sondern vielmehr die Praktiken der Hervorbringung solcher Verhältnisse, etwa über die diskursive Ausrichtung auf messbare Kompetenzen und Lernprodukte, sowie die produktiven Machteffekte pädagogischen Handelns. Eine poststrukturalistisch orientierte Professionstheorie versteht Lernen als „eine strukturierende Tätigkeit, die Differenz- bzw. Normalitätsordnungen hervorbringt, die allerdings relational und unvollständig, kontingent und unbestimmt bleiben“ (Klingovsky 2013, S. 8) und gerade deswegen in ihrer Variabilität in den Blick genommen werden müssen.

Die zentrale Herausforderung für das professionelle pädagogische Handeln besteht vor diesem Hintergrund darin, die dialektische Struktur von Lehr- und Lernprozessen neu zu reflektieren. Der geplante Beitrag untersucht die Frage, inwiefern deren widersprüchliche Verfasstheit als konstitutives Merkmal aller Lern- und Bildungsprozesse analysiert werden kann. Die differenztheoretische Lerntheorie bietet eine neue Möglichkeit zur Kritik an bestehenden Selbst- und Weltverhältnissen, indem sie deren Entstehungsbedingungen studiert und benennt, was das eigene Selbst und das Sagbare determiniert. Sie stellt die eigene diskursive Begrenzung in Frage und könnte somit als Instrument einer „Entunterwerfung“ (Foucault 1990, S. 15) dienen, damit „man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird“ (Foucault 1990, S. 11f). Dieser theoretische Ansatz besitzt folglich auch explizit politische Relevanz, da er nicht nur das pädagogische Handeln, sondern zugleich gesellschaftliche Machtverhältnisse auf Wahrheitseffekte hin befragt.

Literatur:

Foucault, M. (1990). Qu’est-ce que la critique? [Critique et Aufklärung] (Vortrag, Société française de philosophie, 27. Mai 1978). Bulletin de la Société française de philosophie, 84, 35-63. Dt. Übers. v. W. Seitter (1992). Was ist Kritik? Berlin: Merve Verlag.

Klingovsky, U. (2013). Differenz(en) statt Kompetenz. Anmerkungen zu einer dekonstruktiven pädagogischen Professionalität. Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs, 20, 13-20. URL: http://erwachsenenbildung.at/magazin/13-20/meb13-20.pdf



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