Abstracts 2012
Abstract
Das Phänomen geringer Schriftsprachkompetenzen in der „Wissensgesellschaft“ - Ausgrenzungsgefahren, Bewältigungsformen und Teilhabechancen
Von:Krenn, Manfred; FORBA, Österreich
Session: 1
Zeit: Donnerstag, 05.07.2012, 14:00 - 16:00
Ort: FH Saal A
Typ: Paper
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Der vorgeschlagene Beitrag basiert auf einem z.Z. (bis Ende April 2012) laufenden Forschungsprojekt zu „funktionalen AnalphabetInnen“, in dem auf der Grundlage von 30 qualitativen, biographischen Interviews im kontrastiven Fallvergleich eine Typologie erarbeitet werden soll.
Das Forschungsprojekt verfolgt eine genuin soziologische Herangehensweise und konzipiert das Problem geringer Schriftsprachkompetenzen als Phänomen sozialer Ungleichheit. Das bedeutet, geringe Schriftsprachkompetenzen nicht als Folge individueller Grundbildungsdefizite, sondern als komplexes soziales Problem im Zusammenhang sich vertiefender gesellschaftlicher Spaltungen zu begreifen (Zilian 2002). Dies inkludiert, dass bei der Betrachtung des Phänomens die gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesse und ihre Folgen für die Betroffenen ebenso in den Blick genommen werden, wie eine Veränderung der Perspektive von einer rein defizitären Bewertung hin zu einer ressourcenorientierten Sichtweise vorgenommen wird.
Zentral geht es darum, das Verständnis für diese extreme Form der Bildungsbenachteiligung zu erhöhen und Ansatzpunkte für Maßnahmen zur Verbes¬serung der sozialen Teilhabechancen, die über die Teilnahme an Kursen hinausgeht, herauszuarbeiten. Die Einbeziehung der Analyse von Arbeitsmarktprozessen macht es notwendig, Bildung nicht nur als ein Individualmerkmal im Sinne formaler Kompetenz¬ausweisung zu verstehen sondern auch als Kompetenzzuweisungs- und Statuszuweisungsprozess (Solga 2006).
Verschiedene Studien zu milieuspezifischen Bildungsorientierungen (Barz/Tippelt 2004; Bremer 2007) zeigen, dass das Wissen um milieuspezifische Mentalitäten eine wichtige Voraussetzung darstellt, um zielgruppengerechte (Weiter)Bildungsangebote zu kreieren. Sollen die als „bildungsfern“ bezeichneten Personen mit adäquaten Angeboten der Erwachsenenbildung erreicht werden, ist eine profunde Kenntnis ihrer Lebenssituation sowie von Motivations- und Lernkonzepten notwendig, die möglicherweise konträr zu (negativen) Schulerfahrungen liegen. Dies gilt im Besonderen für Menschen mit geringen Schriftsprachkompetenzen. Insofern setzt sich das vorgeschlagene Forschungsprojekt zum Ziel, die Lebenswelten und Mentalitäten von Menschen mit geringen Schriftsprachkompetenzen sowie ihre Ressourcen und Bewältigungsstrategien zu erforschen. Dies ist umso dringlicher, als dazu in Österreich so gut wie keine Erkenntnisse vorliegen.
Unter Einbeziehung von bildungssoziologischen Ansätzen (Bittlingmayer u.a. 2010), dem Ansatz sozialer Milieus (Bremer 2007 ) und des Verständnisses von Literalität als sozialer Praxis (New literacy studies, bspw. Street 2005) stellt sich der Beitrag den Anspruch, ein komplexes Bild der Heterogenität des Phänomens geringer Schriftsprachkompetenzen vorzustellen. Dies inkludiert die Rekonstruktion von verschiedenen Prozessen der Bildungsbenachteiligung und der dafür entscheidenden Faktoren, Schwerpunkte der Lebensführung, der Bewältigungsformen und der sozialen Einbindung sowie spezifischer, aus dem sozialen Kontext extrahierter Kompetenzen von Menschen mit geringen Schriftsprachkompetenzen. Dabei sollen auch in die soziale Praxis eingebettete Lernprozesse jenseits institutionalisierter Arrangements sichtbar gemacht werden. Darüber hinaus sollen Ansatzpunkte für die Verringerung der Exklusionsgefahr der Betroffenen herausgearbeitet werden, die soziale Teilhabe nicht nur am Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Teilbereichen, wie dem Erwachsenbildungssystem und dem „Nachbessern“ individueller Kompetenzen (Teilnahme an einem Basisbildungskurs) festmacht, sondern an Teilhabeergebnissen.
Referenzen:
Barz, Heiner/Tippelt, Rudolf (2004): Weiterbildung und soziale Milieus in Deutschland. Band 2: Adressaten- und Milieuforschung zu Weiterbildungsverhalten und -interessen
Bittlingmayer, Uwe H./Drucks, Stephan/Gerdes, Jürgen/Bauer, Ullrich (2010): Die Wiederkehr des funktionalen Analphabetismus in Zeiten wissensgesellschaftlichen Wandels; in: Quenzel, Gudrun/Hurrelmann, Klaus (Hg.), Bildungsverlierer. Neue Ungleichheiten, Wiesbaden, S. 341-374
Bremer, Helmut (2007): Soziale Milieus, Habitus und Lernen: Zur sozialen Selektivität des Bildungswesens am Beispiel der Weiterbildung, Weinheim
Krenn, Manfred (2010): Gering qualifiziert in der Wissensgesellschaft - Lebenslanges Lernen als Chance oder Zumutung? FORBA Forschungsbericht 02/2010, Wien
Solga, Heike (2006): Gering Qualifizierte als Regulationsproblem, in: Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung Deutschlands - Zwischenbericht. Auswertung der Werkstattgespräche zur sozioökonomischen Berichterstattung im ersten Halbjahr 2006
Street, Brian V. (2005): Understanding and defining literacy. Background paper prepared for the Education for All Global Monitoring Report 2006 "Literacy for Life"
Zilian, Hans G. (2002): Grundbildungsdefizite in der Wissensgesellschaft; in: ISOTOPIA (Hg.), Berufliche Basisbildung und funktionaler Analphabetismus, Graz, S. 52-68
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