Krise und Nachhaltigkeit
Herausforderungen für berufliche Bildung
Soziale Transformation und Technikentwicklung sind weder allein durch materielle oder technische Faktoren noch ausschließlich durch soziale oder kulturelle Faktoren bestimmt. Einfache Modelle von pull- oder push-Faktoren unterschätzen die starken Interdependenzen, die sich zwischen Mikro-, Meso- oder Makroebene in unterschiedlicher Gestalt manifestieren. Dies sind auch nicht mehr allein akademische Fragen, die in den Science- und Technology-Studies oder politischer Soziologie bearbeitet werden. Vielfältige durch den Einsatz digitaler Technologien angestoßene oder getriebene Entwicklungen werfen die Mensch-Maschinen-Interaktionen und die Rolle von Technologie bei der sozialen Entwicklung neuerlich und drängend auf und haben mittlerweile den Arbeitsalltag und die Lebenswelten von uns allen erreicht. Debatten rund um Transhumanismus oder Digital Humanities lassen sich nicht mehr als esoterisch abtun. Auch an aktuellen, national und international diskutierten Konzepten der Wissenschaftsorganisation wie etwa „Responsible Research and Innovation“, „Open Innovation“ oder „Citizen Science“ zeigt sich die zunehmende Durchdringung von lange funktional getrennt gedachten Subsystemen unserer Gesellschaft und einer damit neuen Aufgaben an Forschung und Entwicklung, so auch für die Berufsbildungsforschung.
Dieser Umstand trifft uns zu einer Zeit, in der neben der pandemischen Situation auch mit hoher Dringlichkeit auf weitere große globale Herausforderungen hingewiesen wird, da unsere gegenwärtige soziale Praxis der Techniknutzung und des Wirtschaftens, unsere Lebensgrundlagen existenziell berührt. Entsprechend gibt es lokale, regionale, nationale und transnationale Bemühungen, Ziele und Handlungskoordination für eine nachhaltige Zukunft abzustimmen und einzuleiten. Alle Politikbereiche sind davon betroffen und es gibt vielfältige Anstrengungen, verbesserte und neue Rahmenbedingungen für mehr soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit zu etablieren, so auch in der und auch durch die Berufsbildung.
Langfristige Trends und Entwicklungen sind mit spontan auftretenden Krisen überlagert und diese verstärken sich wechselseitig. Die 8. Berufsbildungsforschungskonferenz will entsprechend Beiträge versammeln, die auf unterschiedlichen Ebenen und hinsichtlich vielfältiger damit verbundener Ziele, zeigen, in welcher Weise und in welchem Grad dieses Geschehen durch berufliches Lernen und berufliche Bildung beeinflusst werden kann und beeinflusst wird. Berufliche Bildung soll so in ihrer Leistungsfähigkeit als „Change Agent“ im aktuellen, disruptiven Wandel von Arbeitskontexten befragt werden. Ohne abschließend benennen zu können, wie vielfältig die Herausforderungen sind, lassen sich doch demonstrativ Fragestellungen hinsichtlich beruflicher Bildung formulieren, die krisenhafte Entwicklungen aufgreifen. Was leistet berufliche Bildung (potenziell) für:
- inklusive, gerechte und hochwertige Bildung?
- die Förderung des lebenslangen Lernens?
- zur Vermeidung oder dem Abbau digitaler Exklusion (digital divide)?
- Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle?
- Innovationsförderung für nachhaltiges Produzieren und Wirtschaften?
- Re- und Upskilling für klimafreundliche Berufe und Facharbeit?
- zur Stärkung von Gesundheit, des Gesundheitswesens und der Pflege?
- für die Entwicklung von beruflichen Identitäten, die Resilienz im sozialen Wandelprozessen unterstützen?
Berufliche Bildung kann, durch ihre hohe Relevanz in unserer Gesellschaft, einen bedeutsamen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen und der Adressierung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) leisten. Die der beruflichen Aus- und Weiterbildung immanenten Anforderungen für innovative und flexible Bildungsmaßnahmen und -formaten sowie die Vielfalt didaktischer Umsetzungen (instruktiv, simulativ, situativ und arbeitsintegriert) bietet eine breite Palette für soziale Wirksamkeit an und zwar über alle Altersstufen und alle fachlichen Felder hinweg.
Zur Bearbeitung dieser vielfältigen Fragen lädt die BBFK Fachleute aus der Berufsbildungsforschung ebenso wie der Berufsforschung, der berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung, Qualifikationsforschung, der Arbeitsmarktforschung und der Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung sowie aus allen angrenzenden Disziplinen mit Interesse an diesen Themen ein und bietet Raum und Gelegenheit für Diskussion und Austausch in Klagenfurt.