Keynotes 2024
Univ.-Prof. Mag. Dr. Jörg Flecker
Institut für Soziologie mit den Schwerpunkten
Arbeitssoziologie, Arbeitsorganisation und Arbeitsbeziehungen, Arbeitsmarkt, Transnationalisierung, international vergleichende Forschung, Universität Wien
Keynote 1: Mittwoch, 3.7.2024, 15:00 Uhr
Hilft der Mangel gegen Mängel? Übergänge in die Berufsbildung im Lichte von Forschungsergebnissen und aktuellen Entwicklungen
An den Übergängen innerhalb des Bildungssystems und in die berufliche Bildung erfolgen wichtige Weichenstellungen, die den weiteren Lebensweg junger Menschen nachhaltig prägen können. Dabei sind deren Möglichkeitsräume nicht nur von individuellen Fähigkeiten und Schulerfolgen umgrenzt, sondern auch von ihrer jeweiligen sozialen Herkunft. Neben den materiellen Bedingungen und den Unterstützungsleistungen oder Hemmnissen von Seiten der Familie sind es insbesondere die habituellen Bildungs- und Berufsaspirationen, die an den Übergängen wirksam werden. Am Beispiel von jungen Menschen, die in Wien die Mittelschule besucht haben und im Projekt „Wege in die Zukunft“ über fünf Jahre befragt wurden, können die Einflüsse von Geschlecht, Klassenlage und Migrationsgeschichte bzw. -hintergrund auf Ziele, Übergangsgeschehen und weitere Verläufe aufgezeigt werden. Dabei wird anhand von Längsschnittanalysen deutlich, dass es sich bei der Berufswahl und den Übergängen um komplexe und höchst unterschiedlich ausfallende Prozesse handelt, die nicht ohne Berücksichtigung sozialer Ungleichheiten verstanden werden können. Aufbauend auf diese Untersuchungsergebnisse und verwandte Forschung können allgemeinere Dilemmata und Paradoxa der Berufsbildung formuliert werden, die das Verhältnis zwischen Schulsystem und dualer Ausbildung, zwischen betrieblicher und überbetrieblicher Lehrausbildung sowie die Qualitätsunterschiede in der betrieblichen Lehre betreffen. Ein Mangel - oder auch woran es mangelt - wird gegenwärtig aus verschiedenen Perspektiven sehr unterschiedlich thematisiert. Oft stehen in der Debatte wirtschaftliche Ziele im Vordergrund, bisweilen das Wohlbefinden junger Menschen, deren psychischen Belastungen erheblich angestiegen sind. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wird mit entscheidend sein, wie auch den benachteiligten Mitgliedern der jungen Generation soziale Teilhabe über gute Erwerbsarbeit gesichert werden kann. Daraus kann die Frage abgeleitet werden, wie der aktuell vielbeklagte Mangel an Fachkräften und Auszubildenden zur Überwindung von Mängeln genutzt werden kann, die der Erreichung wichtiger gesellschaftspolitischer Ziele entgegenstehen.
Univ.-Prof. Dr. Dirk Ifenthaler
Universität Mannheim und Curtin University
Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftspädagogik – Technologiebasiertes Instruktionsdesign
Keynote 2: Donnerstag, 4.7.2022, 09:15 Uhr
Die “KI-getriebene” Berufsbildung: Von der Vision zur Realität – Herausforderungen und Handlungsempfehlungen
Aktuelle Entwicklungen der künstlichen Intelligenz fordern Bildungsorganisationen im Allgemeinen und die Berufsbildung im Besonderen heraus, mit diesen disruptiven Elementen kritisch reflektiert umzugehen. Es drängt sich seit geraumer Zeit die Frage auf, wie die daraus resultierenden Veränderungsprozesse genutzt werden können, um Lern- und Lehr-Prozesse der Berufsbildung zu unterstützen? Die Verwendung von Daten und künstlicher Intelligenz zur Unterstützung von Lern- und Lehr-Prozessen ist aus Sicht der Forschung zwar nicht neu, stellt die aktuelle Berufsbildung jedoch vor neue Herausforderungen. Wie lässt sich das Kernproblem der Kontextabhängigkeit, der Fragmentierung und der Verzerrung verfügbarer Bildungsdaten lösen? Wie werden Datensicherheit und ethischen Wertevorstellungen rezipiert? Welche Gelingensbedingungen für Change Prozesse kennen wir bereits? Der Vortrag möchte die Teilnehmenden einladen, einen Blick in internationale Visionen in der Berufsbildung mit Fokus auf künstliche Intelligenz zu wagen. Im Vordergrund stehen dabei Technologien im Sinne von sozio-technologischen Data-Mining-, Analyse- und Interventionspraktiken mit dem Ziel, individuelle und systemische Berufsbildungsprozesse zu unterstützen.
Univ.-Professorin Dr. Katja Driesel-Lange
Universität Münster
Professorin für Erziehungswissenschaft
mit dem Schwerpunkt Berufsorientierung
Keynote 3: Freitag, 5.7.2022, 11:30 Uhr
Individuelle berufliche Entwicklung Jugendlicher in Zeiten des Mangels gezielt fördern: Angebote der Beruflichen Orientierung im Spiegel neuer Handlungserfordernisse
Die Entscheidung für eine nachschulische Perspektive gehört zu den herausfordernden Entwicklungsaufgaben im Jugendalter. Um diese Aufgabe in einer dynamischen Arbeits- und Berufswelt erfolgreich zu meistern, benötigen Heranwachsende u.a. kontinuierlich bereitgestellte Lernangebote. Auch vor dem Hintergrund eines scheinbar bewerbergünstigen Ausbildungsmarktes sollten Lernangebote unterschiedlichen Kategorien entlang dreier Zieldimensionen angehören: berufliche Zukunft erkunden, berufliche Zukunft erfahren und berufliche Zukunft planen (OECD, 2021). Der Schule, als einer der zentralen Akteure im Übergang Schule – Beruf, kommt in der Bereitstellung berufsorientierender Lernangebote eine besondere Bedeutung zu. Jedoch bietet sie Jugendlichen zwar ein prozessorientiertes und zumeist systematisches Programm zur Beruflichen Orientierung, kann aber auf individuelle Bedarfe nur eingeschränkt reagieren. Diese individuellen Bedarfe ergeben sich aus der Variabilität beruflicher Entwicklungsverläufe in der Adoleszenz. So nehmen Jugendliche einer Altersgruppe weder die Berufswahl als eigenverantwortlich zu bewältigende Aufgabe zur selben Zeit wahr, noch bewegen sie sich mit dem gleichen Tempo und in identischen Mustern in diesem Prozess. Vielmehr lassen sich verschiedene entwicklungsbedingte Niveaugruppen und Bewegungsmuster identifizieren (Ohlemann & Driesel-Lange, 2018, 2019). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welches Unterstützungspotenzial Angebote zur Beruflichen Orientierung besitzen. Zur Wirksamkeit verschiedener Interventionen existiert im deutschsprachigen Raum trotz vorliegender Interventions- und Evaluationsstudien, zumeist zu einzelnen Angeboten wie beispielsweise zur Potenzialanalyse, keine systematische empirische Grundlage, die umfassend Ansatzpunkte für eine mögliche Verbesserung der Angebote aufzeigt. Jedoch konnten, vor allem im internationalen Diskurs, die Effekte von Interventionen zur Förderung der beruflichen Entwicklung systematisch im Kontext ausgewählter Indikatoren dargelegt werden. Als Basis wurden Metaanalysen aus dem „Career Readiness Project“ der OECD (2021) herangezogen. Darüber hinaus existieren Hinweise, unter welchen Bedingungen unterschiedliche berufsorientierende Angebote individuelle Wirksamkeit entfalten können (Brown, 2017). Implikationen dahingehend, wie wirksame berufsorientierende Unterstützung, auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel, gelingen kann und welche Anforderungen an professionelle Laufbahnbegleitung gestellt werden, sind im Spiegel des aktuellen Kenntnisstandes abzuleiten.
Brown, S. D. (2017). Meta-analysis and evidence-based career practice: Current status and future directions. In J. P. Sampson, E. Bullock-Yowell, V. C. Dozier, D. S. Osborn, & J. G. Lenz (Eds.), Integrating theory, research, and practice in vocational psychology: Current status and future directions (pp. 82-89). Tallahassee, FL: Florida State University.
OECD (2021). Indicators of teenage career readiness: Guidance for policy makers (OECD Education Policy Perspectives, No. 43). Paris: OECD Publishing.
Ohlemann, S. & Driesel-Lange, K. (2018). Career competence development of students in German secondary schools: A latent transition analysis. In C. Nägele, & B. E. Stalder (Eds.), Trends in vocational education and training research. Proceedings of the European Conference on Educational Research (ECER), Vocational Education and Training Network (VETNET) (pp. 261–271).
Ohlemann, S., & Driesel-Lange, K. (2019). Determining career competence types in vocational schools as a prerequisite for successful transitions: A latent profile analysis. Studia Paedagogica, 24(2), 33-57.