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Abstracts 2012

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Abstract

„Versteckte Kompetenzressourcen“ – Zur Struktur und Relevanz des informellen Lernens im Gesundheitswesen

Von:
Grunau, Janika; Universität Osnabrück, Deutschland

Session: Postersession
Zeit: Unbekannt
Ort: MAW - Großer Saal & MAW - Mittlerer Saal
Typ: Poster



Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und des absehbaren Fachkräftebedarfs sind sich Stakeholder in Politik und Wissenschaft weitestgehend einig, dass Kompetenzen, die außerhalb des formalen Bildungssystems erworben wurden, eine wichtige, bislang jedoch vernachlässigte Kompetenzressource darstellen (vgl. hierzu z.B. DOHMEN 2001; BETHSCHNEIDER et al. 2010; BOHLINGER 2009). So gilt die Anerkennung informell erworbener Kompetenzen insbesondere auch im Gesundheitssektor als eine vielversprechende und zukunftsweisende Strategie, um Ausbildungszeiten zu verkürzen und dem prognostizierten Fachkräftemangel zu begegnen (vgl. BALS / SLOANE 2011).

Einen wesentlichen Anschub hat die Diskussion um informelles Lernen zuletzt durch den Europäischen Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (EQR) sowie durch die Entwicklung und Erprobung der nationalen Pendants (NQR) erhalten. Diese erheben in der Regel den Anspruch, langfristig nicht nur Bildungsabschlüsse, sondern außerdem Kompetenzen einzuordnen, die in jeglichen Lebenssituationen und unabhängig vom Grad der Formalisierung erworben werden (vgl. ARBEITSKREIS DQR 2010). Allgemeine Gutachten zur Berücksichtigung informell erwobener Kompetenzen im Deutschen Qualifikationsrahmen liegen zwar vor (vgl. GUTSCHOW 2010; DEHNBOSTEL et al. 2010), konkrete Vorschläge zur Berücksichtigung sektor- oder berufsspezifischer Kompetenzen wurden in diesem Zusammenhang bislang allerdings noch nicht erarbeitet.

In dem Projektvorhaben „Struktur und Relevanz des informellen Lernens im Gesundheitssektor“ wurde davon ausgegangen, dass die Berücksichtigung informell erworbener Kompetenzen nicht substanzlos erfolgen kann, sondern eine Anerkennung zunächst die Identifizierung, Dokumentation und Zertifizierung der versteckten Kompetenzressourcen erfordert. Zielsetzung war es demnach, einen systematischen Überblick über die tatsächliche Struktur und die Relevanz der unterschiedlichen Lernformen im Feld zu erhalten sowie Perspektiven der Erfassung und Anerkennung zu diskutieren.

In einem systematischen Mehrebenenansatz wurden hierzu (1) Handelnde im Gesundheitswesen mit einer besonders ausgeprägten, informellen Lernbiographie in Interviews befragt, (2) Gruppendiskussionen mit Personen durchgeführt, die in ihren berufsüblichen Bewerbungs- und Beratungsgesprächen mit informellen Lernerfahrungen konfrontiert werden, z.B. Schulleiter/innen und Personaler/innen im Gesundheitswesen, sowie (3) Methoden- und Anerkennungsfragen mit Vertreter/innen aus einschlägigen Ministerien, Behörden sowie den Berufsverbänden erörtert. Die erhobenen Daten wurden mithilfe von inhaltsanalytischen Verfahren ausgewertet (in Anlehnung an LEGEWIE 1994).

Die Projektergebnisse geben Hinweise darauf, dass bestimmte informelle Lern- und Erfahrungsfelder, z.B. ehrenamtliche Tätigkeiten und Auslandsaufenthalte, als besonders relevant für berufliche Tätigkeiten im Gesundheitswesen eingeschätzt werden und entsprechende Lernstrukturen und -kontexte mit einschlägigen Kompetenzerwartungen verknüpft sind („Signaleffekte“). Bei anderen Erfahrungs- und Tätigkeitsbereichen, z.B. bei diversen Freizeitaktivitäten, ist hingegen ein höheres Maß an Reflexion sowie ein zumindest indirekter Bezug zum Berufsfeld erforderlich, bevor sie mit „verwertbaren“ Kompetenzen in Verbindung gebracht werden. Aus politischer und administrativer Sicht wird das Thema zwar durchgängig als relevant und zukunftsträchtig bewertet, gleichzeitig wird aber vor zu schnellen Anerkennungslösungen gewarnt, die gegebenenfalls zu einem Qualitätsverlust der gesundheitlichen Versorgung führen könnten.

Referenzen

Arbeitskreis DQR (2010): Vorschlag für einen deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. November 2010. Online: www.deutscherqualifikationsrahmen.de (16.12.2010).

Bals, Thomas/ Sloane, Peter F.E. (2011): Struktur und Relevanz des informellen und non-formalen Lernens im Gesundheitssektor. Unveröffentlichter Projektbericht.
Bethscheider, Monika/ Höhns, Gabriela/ Münchhausen, Gesa (2010): Kompetenzorientierung in der beruflichen Bildung. Bielefeld: Bertelsmann.

Bohlinger, Sandra (2009): Bildungspolitische Implikationen informellen Lernens. In: Bildungsforschung (2009) Jg.6, S. 1-28. Online: http://www.bildungsforschung.org/ (Stand: Dezember 2010).

Dehnbostel, Peter/ Seidel, Sabine/ Stamm-Riemer, Ida (2010): Einbeziehung von Ergebnissen informellen Lernens in den DQR – eine Kurzexpertise. Bonn, Hannover. Online: http://www.deutscherqualifikationsrahmen.de(Stand: 06.10.2010).

Dohmen, Günther (2001): Das informelle Lernen. Online: http://www.bmbf.de/pub/dasinformellelernen.pdf (Stand: April 2011).

Gutschow, Katrin (2010): Anerkennung von nicht formal und informell erworbenen Kompetenzen. Bericht an den Hauptausschuss. Heft 118 der Schriftenreihe des BIBB. Bonn. Online: http://www.deutscherqualifikationsrahmen.de (Stand: 06.10.2010).

Legewie, Heiner (1994): Globalauswertung von Dokumenten. In: Boehm, Andreas/ Mengel, Andreas/ Muhr, Thomas [Hrsg.]: Texte verstehen. Konzepte, Methoden, Werkzeuge. Universitätsverlag. S. 177-182. Online: http://www.ssoar.info/ssoar/files/2009/602 (Stand: Januar 2011).


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