Abstracts 2016
Thematisches Forum
Frühe AusBildungsabbrecherInnen - Ausselektierte Jugendliche
Von:Landauer, Doris; AMS Wien, Österreich & Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
Bock-Schappelwein, Julia; WIFO - Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
Steiner, Mario; IHS - Institut für höhere Studien
Litschel, Veronika; ÖIBF - Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung
Schmöckel, Sonja; Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
Schmid, Kurt; IBW - Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft
Typ: Thematisches Forum
AUSSELEKTIERTE JUGENDLICHE
Auswirkungen, Betroffenheit, Selektionslogik des AusBildungssystems, Gegensteuerung
Frühe Bildungs- und AusbildungsabbrecherInnen stellen – vielleicht neben Asylberechtitgten – gegenwärtig das größte Problem am österreichischen Arbeitsmarkt dar, ein ganzes Berufsleben lang. Pflichtschulabschluss reicht nicht mehr! Wie sehr und wofür diese Ausgangsbasis nicht reicht, wo die Herausforderungen stecken und wie wir sie bewältigen könnten, wird in diesem Forum diskutiert.
Früher Ausbildungsabbruch wird in der öffentlichen Diskussion sehr schnell als individuelles Versagen eingestuft oder als Produkt soziodemographischer bzw. sozioökonomischer Faktoren gesehen. Dieser Diskurs greift deutlich zu kurz, denn die Ursache des frühen Abbruchs ist beispielsweise nicht der Migrationshintergrund der Betroffenen per se, sondern die Unfähigkeit des Bildungssystems adäquat auf die Herausforderungen der Diversität zu reagieren und benachteiligende Startbedingungen auszugleichen.
Eine Zahl sei vorweg herausgestrichen: Mit einer 39%-igen Arbeitslosigkeit (2015) in Wien von Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss (mit stark steigender Tendenz) liegt die Bundeshauptstadt um 13 Prozentpunkte über dem Österreichschnitt (26%) – wie andere Städte auch, auch in Österreich. Aber Arbeitslosigkeit ist nicht das einzige Feld, wenn auch ein sehr wesentliches. Als jahrelanges Musterland in Sachen Arbeitsmarktpolitik schockieren solche Botschaften. Aber ist das nicht ein Randproblem von ein paar Betroffenen? Mitnichten! Zwar lag die offizielle Early School Leaver Quote 2014 bei 7%, womit Österreich den internationalen Benchmark für 2020 bereits erreicht hat, doch wenn man etwas genauer hinschaut, tauchen andere Zahlen auf: 130.000 Menschen zwischen 15 und 25 haben keinen Sekundarabschluss II und sind in keiner AusBildung.
Gänzlich unverständlich wird es, wenn man bedenkt, welche Kosten unzureichende Bildung für Generationen nach sich ziehen. Und umgekehrt, welche – auch wirtschaftliche – Potenziale schlummernd darauf warten gehoben zu werden. Dazu brauchen wir dringend auch ein qualitatives Upgrading.
In kurzen Impulsreferaten wird auf das Wesentliche fokussiert. Dabei kommen namhafte ForscherInnen in Sachen Bildung und Early School Leaving zu Wort. Es wird auch ausreichend Raum für Diskussionen geben. In der Reihenfolge ihres Auftretens:
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Doris Landauer (AMS Wien) beschäftigt sich seit sechs Jahren ausschließlich mit dem Thema in Wien. Sie steckt den Rahmen des Forums ab, skizziert die österreichische Situation. Zeigt die lebenslangen Folgen von Bildungsarmut auf. Und welche individuellen und wirtschaftlichen Potenziale wir heben könnten. Dieses Potenzial unentdeckter Talente gilt es zu heben – quantitativ und qualitativ.
Mario Steiner (IHS) forscht seit Jahrzehnten auf dem Gebiet. Im Auftrag dreier Ministerien hat er etwa federführend die Herausforderungen für die Ausbildung bis 18 analysiert. Die Zielsetzung seines Beitrags liegt darin, die in vielen Fällen unterbelichtete Systemkomponente ins Zentrum der Diskussion um die Ursachen des frühen Bildungsabbruchs zu stellen. Dabei werden sowohl Systemstrukturen (z.B. Sonderschulen) als auch Selektionspraktiken der Systemakteure (z.B. Klassenzusammensetzungen) kritisch analysiert.
Julia Bock-Schappelwein (WIFO) ist aktuell etwa federführend für Bildung 2025. Sie stellt die Ergebnisse der Bildungsstandards vor und hinterfragt, inwiefern schon allein die simple Verschiebung der Überprüfung der Bildungsstandards von der 4. bzw. 8. Schulstufe auf die 3. bzw. 7. Schulstufe und eine aktive Nutzung der individuellen Ergebnisse, die Zahl der frühen BildungsabgängerInnen reduzieren würde.
Kurt Schmid (IBW) forscht seit Jahren auf diesem Gebiet und bringt die unternehmerische Perspektive ein: Ein Teil der beobachtbaren Drop-Outs liegt in der strukturellen Ausgestaltung der Schnittstelle zwischen 8. und 9. (sowie 10.) Schulstufe sowie im vielfältigen Bildungsangebot der österreichischen Sekundarstufe II begründet. Es stellen sich somit Fragen zu Möglichkeiten und Grenzen der Bildungs-/Berufsorientierung sowie generell zur Länge der allgemeinbildenden Pflichtschule in Österreich, auch aus internationaler Perspektive.
Veronika Litschel (ÖIBF) hat jüngst eine Metaanalyse abgeschlossen, die der Frage der Änderbarkeit von gegenwärtiger Defizitorientierung im AusBildungssystem nachgeht und welche Auswirkungen dies auf den öffentlichen Diskurs und erst recht auf das Selbstbild und den Selbstwert der Jugendlichen hat. Die Zielgruppenbeschreibungen („Early School Leavers“) sind ausschließlich defizitär.
Sonja Schmöckel (BMASK) stellt die bestehenden und geplanten Interventionsmaßnahmen vor, von der Ausbildungsgarantie über das Jugendcoaching an Schulen bis zur aktuellen Ausbildungspflicht. Mit der Überzeugung, dass Bildung zum gewünschten Ziel führt, verfolgt die aktive Arbeitsmarktpolitik konsequent die Strategie junge Menschen durch gute Qualifikationen nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Literaturhinweise:
• BACHER, Johann, et al. Studie zur Unterstützung der arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe „NEET“, April 2013
• BOCK-SCHAPPELWEIN, J., 2015, Why preventing NEETs has become so necessary?, Peer Review on “Targeting NEETs – key ingredients for successful partnerships in improving labour market participation”, Mutual Learning Programme, DG Employment, Social Affairs, Skills and Labour Mobility, Norway (Oslo), 24-25 September 2015.
• BOCK-SCHAPPELWEIN, Julia (Projektleitung), Bildung 2025: Herausforderungen für die Organisation eines zukunftsfähigen Bildungssystems
• LANDAUER, Doris, Frühe BildungsabbrecherInnen in Wien. Struktur, Analyse, Handlungsbedarf, Wien, September 2011; AMS-Info 214
• LANDAUER, Doris, Internetbefragung an frühen BildungsabbrecherInnen in Wien. Befragung an KursabbrecherInnen; Wien, Mai 2012
• LANDAUER, Doris, Bildungsarmut und ihre lebenslangen Folgen. Übersicht und Aufbereitung empirischer Studien, Wien, März 2016
• LANDAUER, Doris, Bildungsaufstieg im zweiten Anlauf. Längsschnittanalyse von über 20.000 frühen BildungsabbrecherInnen; Wien, 2016
• LITSCHEL, Veronika/ Roland LÖFFLER, Meta-Analyse zu rezenten Studien im Bereich der „AMP-Maßnahmen für Jugendliche“. Betrachtungen mit dem Schwerpunkt „Berufsausbildung“. AMS-Report 109, Wien 2015
• SCHMID, Kurt, H. HAFNER, Reformoptionen für das österreichische Schulwesen. Internationaler Strukturvergleich und notwendige Reformen aus Sicht der Unternehmen, ibw-Forschungsbericht Nr. 161, Wien 2011, ibw-research brief Nr. 69
• SCHMID, Kurt, H.DORNMAYR., B. GRUBER, Schul- und Ausbildungsabbrüche in der Sekundarstufe II in Oberösterreich, ibw-Forschungsbericht Nr. 179, Wien 2014, ibw-research brief Nr. 85
• SCHMID, Kurt, Erfolgsfaktoren für eine „gemeinsame Schule“. Strukturvergleiche und Analysen anhand ausgewählter Länder, ibw-Forschungsbericht Nr. 178, Wien 2014
ibw-research brief Nr. 86
• STEINER M. (2013): „…und raus bist Du!“ Ausbildungsarmut Jugendlicher und ihre soziale Ungleichverteilung im Österreichischen Bildungssystem AMS info 250-251, Wien.
• STEINER, M. (2013): Geringe Effizienz und hohe Selektivität: Die zentralen Herausforderungen im österreichischen Bildungssystem, in: Gesslbauer E., Großruck U., Siegele P. (Hrsg.): Schule Grenzenlos. Erfahrungen und Herausforderungen im 21. Jahrhundert, OeAD-Schriftenreihe, Band 5, Studienverlag, Innsbruck.
• STEINER, Mario, Integrationschancen durch Lehre? Benachteiligte Jugendliche am Lehrstellenmarkt; Wien, 2015
• STEINER, Mario, Gabriele Pessl, Johannes Karaszek, Ausbildung bis 18. Grundlagenanalysen zum Bedarf von und Angebot für die Zielgruppe; Wien, Oktober 2015
• STEINER, M., Pessl G., Bruneforth M. (im Erscheinen): Früher Bildungsabbruch – Neue Erkenntnisse zu Ausmaß und Ursachen, in: Nationaler Bildungsbericht 2015, Band 2, Graz
• STEINER, M., Pessl G., Karaszek J. (2015): Ausbildung bis 18. Grundlagenanalysen zur Zielgruppe, Studie im Auftrag des BMASK, BMBF und BMWFW, Wien
• STEINER, M. (2015): Integrationschancen durch die Lehre? Benachteiligte Jugendliche am Lehrstellenmarkt, Studie im Auftrag des AMS-Wien, Wien
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