Abstracts 2016
Paper
Kompetent, kompetenter, ... Was Kaufleute können (sollten)
Von:Sangmeister, Julia; Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Deutschland
Winther, Esther; Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Deutschland
Typ: Paper
Die berufliche Bildung sieht sich, bedingt durch strukturellen und demogarfischen Wandel, neuen Herausforderungen gegenüber. Unter dem Schlagwort „Berufsbildung 4.0“ thematisiert Weiß (2015) die mit der industriellen Revolution zusammenhängenden Entwicklungen in der beruflichen Bildung, die sich auf Digitalisierung und Automatisierung, Vernetzung und flexible Fertigungsabläufe gründen und damit auch eine Neugestaltung von Lernprozessen mit sich bringen. Eine weitere Besonderheit der beruflichen Bildung ist in der starken Heterogenität der Schülerschaft bezüglich soziodemographischer Merkmale und schulischer Leistungsfähigkeit (z.B. Seeber, 2010; Ernst & Westhoff, 2011) zu sehen, die durch Unterschiede in Ausbildungskulturen oder Lerngelegenheiten noch weiter verstärkt wird (vgl. Liedtke & Seeber, 2015). Vor diesem Hintergrund und in Anlehnung an Theorien zur Assessmentforschung (vgl. Wilson, 2005) scheint es unerlässlich, dass (1) die Ziele und Anforderungen der beruflichen Ausbildung angepasst bzw. neu definiert werden, (2) authentische Instrumente zur Überprüfung dieser berufsrealen Anforderungen entwickelt werden und (3) Lernprozesse entsprechend initiiert werden. Bei der Messung von (kaufmännischer) Kompetenz geht es dabei nicht nur um die Frage, was Auszubildende wissen, sondern insbesondere um die Frage, was Auszubildende können. Der vorliegende Beitrag skizziert am Beispiel des vom BMBF geförderten Projekts CoBALIT (Competencies in the field of Business and Administration – Learning, Instruction, and Transition) wie kaufmännische Kompetenz modelliert und entsprechende Testaufgaben über eine computerbasierte Testumgebung (Simulation) authentisch administriert werden können. Kaufmännische Kompetenz wird nach Winther & Achtenhagen (2008,100) definiert als „die Fähigkeit, auf Grundlage eines systemischen Verstehens betrieblicher Teilprozesse und deren Rekonstruktion aus realen Unternehmensdaten in berufsrealen Situationen unternehmerische Entscheidungen treffen und diese validieren zu können, um damit das eigene Wissens- und Handlungspotential vor dem Hintergrund der Entwicklung individueller beruflicher Regulationsfähigkeit auszubauen“. Das theoretische Modell zur Aufgabenentwicklung differenziert für das Konstrukt der kaufmännischen Kompetenz zwischen einer domänenspezifischen und einer domänenverbundenen Dimension (vgl. Gelman & Greeno, 1989). Domänenverbundene Inhalte beziehen sich auf allgemeine sprachliche und mathematische Fähigkeiten, die in beruflichen Handlungssituationen relevant werden. Sie unterscheiden sich von Inhalten des allgemeinen Bildungsbereichs durch ihre berufliche Relevanz. Domänenspezifische Inhalte umschließen darüber hinausgehend spezifisches Regel- und Handlungswissen einer beruflichen Gemeinschaft, das sich exklusiv auf kaufmännischen Berufe bezieht (vgl. Klotz & Winther, 2015). Damit wird versucht verlässliche Aussagen zur Struktur kaufmännischer Kompetenz und zur Entwicklung von Testaufgaben zu generieren, die wiederum Ableitungen für die Gestaltung kaufmännischer Ausbildungsprozesse sowohl auf Mikro- als auch auf Makroebene unterstützen sollen.
Die empirische Überprüfung des theoretischen Modells erfolgt auf der Datenbasis einer Stichprobe von Auszubildenden zur Industriekauffrau/zum Industriekaufmann sowie Kaufleuten für Spedition und Logistikdienstleistungen (N=1645), die mittels computerbasierter Testung (72 Items) an über 50 Schulen in Deutschland erhoben wurden. Die Analysen werden anhand der Software Acer Conquest (vgl. Wu et al. 1997; Briggs & Wilson, 2003) durchgeführt. Dazu werden konkurrierende Modelle zur Kompetenzstruktur vorgestellt und mittels inferenzstatistischer Verfahren der Item Response Theory (IRT) überprüft. Diese Prüfung ist zudem dadurch motiviert, dass in der beruflichen Bildung eine Vielzahl verschiedener Kompetenzmodelle vertreten werden, die entweder einer inhaltlichen Logik folgen (u.a. Geschwendtner, Abele & Nickolaus, 2009; Winther, 2010) oder sich an kognitiven Strukturüberlegungen bzw. Handlungsmodellen orientieren (u.a. Lehmann & Seeber, 2007).
Erste Analysen stützen das theoretisch unterstellte zweidimensionale Modell empirisch. Dieser Befund weist –trotz einer eher hohen Korrelation von .898 zwischen den latenten Dimensionen– auf eine Trennung zwischen domänenverbundener und domänenspezifischer Kompetenz hin, die sich auch in den Verteilungen der Itemschwierigkeiten und der Personenfähigkeiten zeigt. Ein dezidierter Blick auf die empirischen Befunde erlaubt die Schlussfolgerung, dass es mit dem gegebenen Testinstrumentarium gelingt, die Personen zuverlässig auf den zwei verschiedenen Kompetenzdimensionen zu verorten. Ein Vergleich der Verteilungen zeigt zudem, dass zwischen den Personen auf beiden Kompetenzdimensionen gut differenziert werden kann. Die Ergebnisse sprechen für die Brauchbarkeit des Testinstrumentariums und damit verbunden für eine differenziertere Erfassung von berufsrelevanten Kompetenzen im kaufmännischen Bereich.
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