Abstracts 2016
Paper
Das Vorarlberger Lehrlingsmodell aus Sicht seiner Zielgruppen
Von:Fredersdorf, Frederic; FH Vorarlberg, Österreich
Typ: Paper
Laut Hochschulprognose 2014 stieg in Österreich der Anteil der 18-/19-Jährigen mit Matura von 39,37% in 07/08 auf 41,33% in 11/12 (Radinger u.a. 2014: 19). Parallel sank zwischen 2008 und 2013 der Anteil junger Menschen in Lehrlingsausbildung (Dornmayr & Löffler 2014: 88). Wegen der demografischen Entwicklung und Nachwirkungen der Wirtschaftskrise liegt in Austria ein Trend zur höheren Bildung vor. Ebenso in Deutschland: Wiesen 1991 11,9% der deutschen Bevölkerung einen (Fach)Hochschul- und 58,2% einen Lehrabschluss vor, waren es 2010 14,6% mit (Fach)Hochschul- und 50,6% mit Lehrabschluss (Statistisches Bundesamt 2015: 10). Beide Länder markieren die europaweite Tendenz eines seit 2000 wachsenden Bevölkerungsanteils in Tertiärer Bildung, obwohl zwischen 1985 und 2010 die EU-27-Bevölkerung unter 30 Jahren sank (EACEA 2012: 11f, 19). Neben obigen Daten begründen steigende Quoten von Berufsaussteiger/innen und die Arbeitslosigkeit niedrig Qualifizierter den vielzitierten Fachkräftemangel (Dornmayr & Löffler a.a.O.: 7f, 157-164).
Vorarlberger Stakeholder suchen ihm mit dem Vorarlberger Lehrlingsmodell (VL) entgegenzuwirken. Seit 2010 realisieren Kammern, Landesschulrat, Ausbildungsbetriebe, Berufs- und Volkshochschulen und die Landesregierung mit dem VL die parallele Ausbildung von Lehre und Berufsreifeprüfung. Im VL bewältigen Lehrlinge der ersten zwei Jahre 360 Einheiten an Berufsschulen und im dritten und vierten Jahr 480 Einheiten in der Erwachsenenbildung. Ende des vierten Jahres absolvieren sie ihre Lehrprüfung sowie Teile der Matura in Deutsch und Englisch. Im fünften und sechsten Jahr leisten sie in Abendkursen restliche 420 Einheiten für die Berufsreifeprüfung.
Zweifellos fordert das VL Beteiligte stärker als ausschließlich eine Lehre, denn die längere Ausbildungszeit ist mit intensiven Arbeits- und Lernleistungen verbunden. Inwiefern das VL herausfordert, wie Beteiligte und Ausbildende die Lehre und das VL bewerten und welche Erfahrungen Teilnehmende/Ehemalige gemacht haben, war Gegenstand einer Online-Befragung unter fünf regionalen Zielgruppen (n=943/9090): Aktuelle und ehemalige Teilnehmende; Schüler/innen der 9. Schulstufe; deren Eltern und betriebliche Ausbildende. Die Vorarlberger Wirtschaftskammer (WKV) und Landesregierung beauftragten die Studie 2014 im fünften Jahr seit Implementierung des VL. Grundlegendes Erkenntnisinteresse: Stärken und Defizite herauszuarbeiten, um anhand der Ergebnisse Rahmenbedingungen zu optimieren.
Ausgehend vom Richtziel erarbeiteten die o.g. Stakeholder Dimensionen der Studie, wobei zum Zweck der Unterschiedsprüfung von Zielgruppen, dieselben Aspekte erhoben wurden. Aus der Auftragsforschung immanenten Gründen stellten sie keinen Bezug zu anderen Lehrlingsstudien her. Das Instrument erfragt in standardisierter geschlossener Form 19 Dimensionen zum VL sowie soziodemografische Aspekte. ExpertInnen testeten und optimierten es, bevor die WKV im März 2015 die Online-Vollerhebung realisierte und die FH Vorarlberg die Daten auswertete. Exemplarische Ergebnisse:
Metrische Batterien sind mit 0,645 ≤ Alpha ≤ 0,83 ausreichend reliabel. Hohe Rücklaufquoten bei Teilnehmenden, Alumni und Ausbildern von 64% stehen üblichen Quoten von 11% bei Schüler/innen der 9. Schulstufe und geringen von 3,1% der Eltern gegenüber. Ergebnisse zu Letztgenannten dienen somit zunächst nur als Hypothesenspender.
Eigeninteresse, Aufstiegschancen, berufliche Möglichkeiten und die Studienberechtigung sind für alle Zielgruppen wichtigste Kriterien zur Teilnahme am VL. Fazit: Eine Rangliste der Kriterien bietet Ansatzpunkte zum Marketing für das VL.
Teilnehmende/Alumni nutzen zwischen 2,6 und 3,4 Stunden wöchentlich für zusätzliches Lernen. Sie wenden mehr private Lernzeit auf, je besser sie die Lehre bewerten. Fazit: Um Drop-Out entgegenzuwirken, scheint es sinnvoll, das positive Image und Klima der Lehre in Betrieben aktiv zu fördern.
Hätten Teilnehmende/Alumni das VL abgebrochen, wären motivationale, aufwandsspezifische und zeitliche Aspekte am bedeutsamsten gewesen. Eltern erkennen hierin eine Aufgabe des Betriebes; Ausbilder sehen diesen Aspekt als kaum relevant an. Fazit: Beeinflussende Zielgruppen sollten sich gemeinsam verantwortlich zeigen, Lernschwierigkeiten der Teilnehmenden zu mildern, um einem möglichen Drop-Out präventiv entgegenzuwirken.
Literatur:
Dornmayr, Helmut & Löffler, Roland (2014): Bericht zur Situation der Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung in Österreich 2012-2013. Wien
EACEA – Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (2012): Schlüsselzahlen zum Bildungswesen in Europa 2012. Brüssel
Radinger, Regina u.a. (2014): Hochschulprognose 2014. Wien
Statistisches Bundesamt (2015): Bildungsstand der Bevölkerung. Wiesbaden
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