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BBFK 2024

Berufsbildung in Zeiten des Mangels

Handlungserfordernisse
neu denken
9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2018

Thematisches Forum

Ökonomische Allgemeinbildung in der Berufsbildung

Von:
Tafner, Georg; PH Steiermark/Bundeszentrum für Professionalisierung in der Bildungsforschung, Österreich
Tramm, Tade; Universität Hamburg
Casper, Marc; Universität Hamburg
Sloane, Peter; Universität Paderborn


Problemlage

Wir leben in einer Gesellschaft, die von Zweckrationalisierung, Quantifizierung, individueller Ressourcenoptimierung und Beschleunigung gekennzeichnet ist (vgl. Meyer 2005, Rosa 2016, Vietta 2012, Weber 2010). Vor diesem Hintergrund sind Paradoxien zu erkennen: Einerseits wird Wirtschaft als ein Allheilmittel gepriesen und andererseits wird das Wirtschaftliche aufgrund von Unkenntnis, mangelnden wirtschaftlichen Interesse oder aus Überzeugung abgelehnt. Es ist nicht notwendigerweise so, dass in einer ökonomisierten Gesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger auch tatsächlich wirtschaftlich gebildet sind. Wirtschaftliche Bildung wird aber als Bestandteil der Allgemeinbildung gefordert und dies in der beruflichen und in der allgemeinen Bildung. In der beruflichen Bildung lauert die Versuchung, die ökonomische Bildung nur auf den ökonomischen Aspekt (vgl. Ulrich 2005) abzustellen und dadurch wesentlich Bereiche des Wirtschaftens nicht in den Blick zu nehmen.

Gegenstand

Die Herausforderungen der ökonomischen Bildung liegen aufgrund der beschriebenen Problemlage gerade im Kontext der beruflichen Bildung darin, dass es neben unterschiedlichen Vorstellungen über Bildung auch unterschiedliche wissenschaftliche und lebensweltliche Vorstellungen von Wirtschaften und Wirtschaft gibt. Darüber hinaus führt gerade die Vermischung von Ökonomie und Ökonomik zu Missverständnissen und letztlich auch zu problematischen Menschenbildern (Tafner 2016). Der neoklassische Mainstream, der vor allem in Lehr- und Schulbüchern sowie in Einführungsveranstaltungen der Ökonomik vorherrscht (vgl. Graupe 2017), bietet mit dem Bild des egoistischen zweckrationalen Akteurs gerade kein bildungstheoretisch tragfähiges Menschenbild. Wie die Finanzkrise zeigt, weist das neoklassische Modell durch die Ausblendung von Strukturen, Institutionen und Macht große Erklärungsmängel auf. Dennoch wird daran festgehalten. Es muss also Aufgabe der ökonomischen Bildung sein, die Welt der Modelle, Theorien und Instrumente der Ökonomik mit ihren Prämissen und Einschränkungen kennenzulernen und reflexiv-kritisch zu hinterfragen, um das Aspekthafte und Modellhafte der Ökonomik kennenzulernen und damit auch ihre Einschränkungen zu verstehen (vgl. Ulrich 2005). Dabei ist die Dekonstruktion dieser Idealwelten ganz wesentlich, damit sich Modellvorstellungen nicht reifizieren. Aber es kann nicht bei dieser kritischen Auseinandersetzung mit der Ökonomik bleiben. Strukturen, Institutionen, soziale Beziehungen und Macht sowie Kontingenzen sind wesentliche lebensweltliche Faktoren, welche unser wirtschaftliches Denken und Handeln mitprägen. Es muss Aufgabe einer ökonomischen Bildung im beruflichen Kontext sein, die soziale, politische und ethische Dimension zu integrieren. Dadurch wird die ökonomische Bildung zu einer sozioökonomischen.

Beabsichtigte Erkenntnisgewinn

Das Ziel des Symposion ist es, ein Bewusstsein dafür zu schärfen, dass ökonomische Allgemeinbildung ein Bestandteil der beruflichen Bildung ist und dass eine solche Allgemeinbildung keine auf den neoklassischen Mainstream fokussierte volkswirtschaftliche Sicht sein darf, sondern einen breiten Blick auf das wirtschaftliche Denken und Handeln einnehmen muss, um der Wirklichkeit beruflichen und wirtschaftlichen Handelns und Denkens und ihrer vernünftigen und verantwortlichen Perspektive ein Stück näher kommen zu können.

Prof. Dr. Peter Sloane, Universität Paderborn:

„Dekonstruktion sozial-ökonomischer Bildung im pädagogischen Alltag. Eine Positionsbestimmung zur ökonomischen Bildung als Allgemeinbildung“

Die Forderung nach ökonomischer Bildung wird zurzeit wieder stärker erhoben, von ganz unterschiedlichen Akteuren mit jeweils divergierenden Absichten. Unlängst riefen Vertreter des Entrepreneurship-Education dazu auf, unternehmerisches Denken in Schulen zu fördern. Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft und der Verein für Socialpolitik führten einen gemeinsamen Workshop zum Thema ökonomische Bildung durch, motiviert u. a. durch die Erfahrung, dass in den Schulen keine ausreichende Vorbereitung auf ein ökonomisches Studium geschähe und Studierende zum Teil relativ ahnungslos ein solches Studium begännen. Die Reihe der Fordernden und ihrer konkreten Ansprüche ließ sich fortsetzen. – Da es keine wirkliche Tradition des Unterrichtsfachs ‚Ökonomie’, ‚Ökonomik’, ‚Wirtschaftslehre’, ‚Sozialökonomie’ usw. gibt, schon die genaue Bezeichnung führt zu Problemen, ist letztlich vollkommen unklar, worum es geht. Geht es um ein wissenschaftspropädeutische Vorbereitung auf das vielschichtige und ausdifferenzierte Konzept der Wirtschaftswissenschaften? Geht es um ökonomisches Handeln in unterschiedlichen sozialen Kontexten? Geht es um die Ordnungsmuster dieser sozialen Kontexte? Eine Dekonstruktion des Konzepts ist erforderlich, die gleichsam am pädagogischen Ort selbst angesiedelt ist. Es geht darum, wie Lehrkräfte in ihrer pädagogischen Arbeit bei gegebenen institutionellen und curricularen Vorgaben, sozial-ökonomische Bildung gestalten können resp. sollten. Hierbei wird Bezug genommen auf ein Modell zur Bildungsgangarbeit und es soll aufgezeigt werden, wie Lehrende ökonomische Bildung vor dem Hintergrund realer schulischer und curricularer Gegebenheiten modellieren sollten.

Priv.-Doz. HS-Prof. Dr. Georg Tafner, Pädagogische Hochschule Steiermark:

„Reflexive Wirtschaftspädagogik und die sozioökonomische Bildung“

Sowohl die berufliche als auch die (sozio)ökonomische Bildung bedürfen einer Grundlage, die über das instrumentell Ökonomische hinausgehen. Effizienz als eine Mittel-Zweck-Relation ist für sich genommen kein Wert, sondern erfährt seine Normativität erst durch die konkrete Anwendung. Effizientes Handeln ist also erst dann ethisch gerechtfertigt, wenn die Mittel und der Zweck ethisch legitimiert sind: „Der Sinn der Leistung kann nie ausschließlich in ihr selbst liegen.“ (Klafki 1996) Damit wird der Sinn, neben Effizienz und Verantwortung zu einer dritten Ebene ökonomischen Handelns. Mit dem Rad der sozioökonomischen Bildung wird ein fachdidaktisches Modell vorgestellt, welches diese Ebenen mit der ethischen, sozialen und politischen Dimension verbindet und damit sowohl der beruflichen als auch der allgemein ökonomischen Bildung als Grundlage dienen kann.

Marc Casper & Prof. Dr. Tade Tramm, Universität Hamburg:

„Momente Ökonomischer Bildung: Subjektive Bildungsverständnisse und Reflexion der Wirtschaftswissenschaften als Elemente der Lehrerprofessionalisierung“

Für angehende Wirtschaftspädagogen ist die kognitive und affektive Klärung des Gegenstands „Wirtschaft“ sowie eine experimentell-enthusiastische, gleichsam kritisch-reflexive Haltung zum Gegenstand ein maßgeblicher Aspekt der Professionalisierung (vgl. Baumert/Kunter 2006, Brand/Tramm 2002). Im Rahmen des Lehr- und Forschungsprogramms „Wirtschaftswissenschaften als Gegenstand Ökonomischer Bildung (WiGÖB)“ entwickeln wir seit 2015 ein umfassendes Konzept zum reflexiven Diskurs zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Die Lehrveranstaltung hat das hochschuldidaktische Ziel, „den subjektiven Ertrag des Ökonomiestudiums für die Studierenden zu reflektieren. Hierbei geht es einerseits um die praktische Relevanz der Studieninhalte in Bezug auf ihre praktischen Erfahrungen in Ausbildung und Beruf, andererseits um die Bedeutung dieses fachlichen Wissens für die künftige Unterrichtspraxis.“ (Thole et al. 2017, S. 126). Wir verstehen „WiGÖB“ als „Prototyp“ im Sinne integrierter, gestaltungsorientierter Lehre und Forschung (vgl. Sloane 2007). Zentrales Erkenntnisinteresse ist die Frage nach Gegenständen und Akzenten einer „Ökonomischen Bildung“ im Medium des Beruflichen: Inwieweit ist diese didaktisierte Ökonomik, wirtschaftliche Allgemeinbildung oder Kaufmännische (Berufs-)Bildung, je im Sinne einer persönlichen, praktischen und politischen Bildung? Unser Beitrag stell das Gesamtkonzept von „WiGÖB“ vor und akzentuiert einen der integrierten Forschungsstränge reflexiven Schreibens (vgl. Bräuer 2003) über „Momente Ökonomischer Bildung“. Hieraus wird ein Modell subjektiv relevanter Spannungs- und Handlungsfelder entwickelt.



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